Kurdistan - Erdogans Problem

01.09.2015

Im Osten der Türkei bahnt sich wieder ein alter Konflikt zwischen Kurden und Türken an, nachdem zwei Türken, davon ein Polizeibeamter, von der PKK erschossen wurde. Nach kurdischen Aussagen sollen diese für den IS gearbeitet haben. Der türkische Staatspräsident Erdogan nahm dies sofort zum Anlass, den erst 2013 mit der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans, dessen Führer Abdullah Öcalan seit 1999 als Revolutionär inhaftiert wurde, mühevoll geschlossenen Waffenstillstand aufzukündigen. Endlich hatte Erdogan einen Grund gefunden, gegen die ihm verhassten Kurden vorzugehen, die seit der Kämpfe im Irak und in Syrien versuchen, den seit spätestens nach Ende des I. Weltkriegs geforderten eigenen Kurdenstaat im Norden des Iraks zu bilden. Unter dem Vorwand, die IS zu bekämpfen, erfolgen die Luftschläge der Türken in erster Linie gegen die Stellungen und Nachschubslinien der Kurden, anstatt die IS massiv zu bekämpfen, die jahrelang in Ostanatolien Waffen, Lebensmittel, Öl etc. über die Grenze  mit Billigung der Türkei transportieren durfte. Plötzlich werden Hunderte von angeblichen Terroristen in der Türkei, meist PKK-Angehörige und pro forma einige IS Sympathisanten verhaftet.

Das eigentliche Ziel ist, die 2012 gegründete gemäßigte Kurdenpartei HDP (Demokratische Partei der Völker) zu verbieten, zumindest aber erheblich zu schwächen, damit sie bei Neuwahlen unter die 10 % Hürde fällt. Erdogan mit seinem zunehmend autokratischen Regierungsstil konnte es nicht überwinden, bei der Parlamentswahl zum Staatspräsidenten nicht die absolute Mehrheit mit seiner AKP zu gewinnen, weil die HDP ihm dieses mit 13 % verdarb. Nun werden Gründe an den Haaren herbeigeholt, die HDP der Unterstützung der geächteten PKK zu bezichtigen und einzelne Abgeordnete der HDP, primär ihren Vorsitzenden Salahattin Demirtas und seine Co-Vorsitzende Figen Yüksekdag verhaften zu lassen. Und wie reagiert nun der Westen? Er benötigt Erdogan und seine starke Armee im Kampf gegen den IS und hält still, wenn dieser das Mandat der NATO missbraucht und überwiegend aber die PKK und Kurden bekämpft, gleich dazu das Assad-Regime in Syrien. Dabei spielt der Westen, besonders Frankreich als ehemalige Kolonialmacht in Syrien, eine Spagatrolle. Einerseits braucht er die Kurden im Kampf gegen den IS, schließlich waren die kurdischen Peschmerga die einzigen, die erfolgreich die IS in Syrien und im Irak bekämpften, andererseits benötigt die NATO die Luftwaffenstützpunkte in der Türkei, um gegen die IS ihre Luftwaffenschläge erfolgreicher zu führen. So klingen die Kritiken von Politikern an der aggressiven Kurdenpolitik Erdogans von Deutschland und den NATO-Partnern nur recht seicht.

Erdogan wird gebraucht und das weiß er, der sich zunehmend als Sultan vorkommt und ein Osmanisches Reich wieder errichten möchte. Seine Hauptfurcht ist die Bildung eines selbständigen Kurdenstaats an seinen Grenzen. Der Anfang einer autonomen kurdischen Region entstand bereits im Nordirak. Das könnte auch die Kurden Ostanatoliens dazu annimiern, sich mit den Türken aus Syrien, dem Irak und Iran zusammenzuschließen. Die Kurden der Türkei wurden von ihren Politikern stets nur als "Bergtürken" bezeichnet und weder ihre Sprache noch Kultur durften sie ausüben. Dazu erfolgte aber noch eine ständige Unterdrückung vom türkischen Militär.

Wie kam es zur Zersplitterung der Kurden auf mehrere Staaten? Dabei müssen wir in die Geschichte weit zurückgehen. Kurdistan, das "Land der Kurden" war eine persische Region. Die Kurden gehören der indogermanischen Völker- und Sprachgruppe an im Gegensatz zur turanischen Ethnie der heutigen Türkei. Seit 1514 gehörten die sunnitischen Kurden dem Osmanischen Reich an. Nach dem I. Weltkrieg wurde den Kurden 1920 durch den Vertrag von Sèvres eine staatliche Unabhängigkeit in Aussicht gestellt, die jedoch 1923 im Vertrag von Lausanne entfiel, da sie von Atatürk nicht anerkannt wurde. So kam es zu mehreren kurdischen Aufständen, die zur Zeit der neuen türkischen Republik blutig niedergeschlagen wurden. Weitere Aufstände im Irak, Iran und der Türkei folgten bis 1991. Heute umfasst das kurdische Siedlungsgebiet 440-530.000 km² mit 23,2 Mio. Einwohnern, davon 11,5 Mio. in der Türkei, 5,3 Mio. im Irak 4-4,5 Mio. im Iran und 1,9 Mio. in Syrien.

Der nun wieder ausgebrochene türkisch-kurdische Konflikt wird die bereits seit Jahren krisengeschüttelte Region im Irak und Syrien weiterhin verstärkten Spannungen aussetzen. Dieser Konflikt hat sich leider schon seit der Zeit bewahrheitet, als der berühmte spätere Generalfeldmarschall Helmuth v. Moltke als junger preußischer Hauptmann 1838 in sein Tagebuch über die Eroberung der Stadt Meja-Farkin am Tigris schrieb: "...aber das Innere zeigt fast nur Trümmer und die frischen Spuren des Zerstörungskrieges, der die Kurden unlängst mit Mühe unter die Herrschaft der Türken gebracht hat" und weiter "Es ist betrüblich zu denken, daß diese Zwangsbefriedung wahrscheinlich auch diesmal, wie so oft früher, nur vorübergehend sein wird, wenn eine bessere Verwaltung den Kurden nicht ihre Unabhängigkeit ersetzt." Arme Kurden, es hat sich nichts geändert!

Manfred Lietzow